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Jetzt im Kino: „Noch bin ich nicht, wer ich sein möchte“

Regiesseurin Klára Tasovská (c) Polyfilm

Regiesseurin Klára Tasovská (c) Polyfilm

Wie lange haben Sie von den ersten Anfängen bis zur Fertigstellung gebraucht, um diesen Film zu produzieren? 

Klara Tasovská: Ich glaube, es war vor fünf Jahren, als ich Lubiše zum ersten Mal traf und wir anfingen, darüber zu reden, wie unser Film aussehen könnte. Weil Libuše Angst hatte, dass sie nur als sprechender Kopf vorkommt, habe ich mir überlegt, wie ich den Film gestalten kann. Und während ich darüber nachdachte, kam die COVID-Pandemie.

Lubiše saß zu Hause fest und begann einige Negative einzuscannen, z. B. erstmals alle ihre Negative aus Japan. Als ich das sah, war ich begeistert, weil ich ihr Leben in ihren Bildern sehen konnte. Deswegen entschied ich, einen Film nur aus ihren Fotografien zu machen, mit ihrer Stimme darübergelegt. Den Text nahm ich aus ihren Tagebüchern, in denen sie ihr Leben aufgeschrieben hat.

So habe ich alle Negative zum Scannen vorbereitet und die Fotos, die ich brauchte, aussortiert. Danach habe ich zwei Jahre mit meinem Bildredakteur und Cutter Alexander Kashcheev im Schneideraum daran gearbeitet. Es waren zwei Jahre mit jeweils acht Stunden am Tag, in denen wir alle Komponenten zusammengefügt haben – Geräusche, Musik und Voiceover. Das war eine Riesenarbeit.

Wie viele Bilder mussten Sie durchsehen und wie viele Bilder haben es in den Film geschafft? 

Ich glaube, ich habe tatsächlich alle Negative durchgesehen, aber in unseren Computer gelangten etwa 70.000 Fotos, und im Film sind es nur 6.000 Fotos. 

Welche Techniken haben Sie angewandt, damit es wie ein Film aussieht und nicht wie eine Diashow oder etwas Ähnliches? 

Ich zunächst alle Selbstportraits von Lubiśe gesucht, weil ich sie – ebenfalls auf Fotos – als meine Erzählerin haben wollte. Deshalb beginnt der Film in der Zeit, als sie 16 Jahre alt war, denn damals hat sie ihre ersten Selbstportraits gemacht.

Danach habe ich mir alle Fotos angesehen. Fotos mit Bewegungen und Bilderserien. Ich kenne viele Filme, die rein aus Fotos gemacht wurden, aber die meisten sind Diashows, also ein Foto nach dem anderen. Aber mein Cutter und ich beschlossen, dass wir einen dynamischeren Schnitt haben wollten, unterlegt mit zeitgenössischer Musik und Sounddesign.

Also haben wir versucht, die Bilder zu nehmen, mit denen man diese Bewegungen inklusive Musik und Sounddesign umsetzen kann. Wir haben uns viel Mühe gegeben und haben es geschafft. 

Die schnellen Schnitte haben tatsächlich die Anmutung eines Films. Irgendwie ist es ein Zwischending zwischen einem Realfilm und einem Animationsfilm. Gab es Vorbilder?

Als ich an der Akademie an der Filmschule studierte, habe ich einen Kurzfilm nur aus Fotos gemacht. So wusste ich, dass es funktionieren kann, einen Film nur mit Bildern sowie Geräuschen, Musik und Voiceover zu machen. Ich liebe den Film La Jetée von Chris Marker aus 1962. Er ist nur aus Fotos gemacht. Das war meine Inspiration.

Ist der Film, den Sie während Ihrer Zeit an der Akademie machten, noch erhältlich? 

Nein. Ich glaube, irgendwo im Schularchiv existiert der Film noch. Aber online ist er nicht verfügbar. 

Zurück zum Film „Noch bin ich nicht wer ich sein möchte: Die meisten Bilder sind natürlich schwarz-weiß, aber Sie haben auch farbige Bilder verwendet. Warum und wieviele farbige Bilder wurden verwendet?

Die meisten Archivfotos von Libuše sind Schwarz-Weiß, weil man in der Tschechoslowakei damals keinen Farbfilm kaufen konnte. Als Libuše nach Japan ging, konnte sie Farbfilme kaufen. So verließ sie quasi das graue kommunistische Regime, ging nach Japan und fotografierte dort in Farbe. Letztlich lagen ihr aber Farbfilme nicht so gut und sie kehrte zum Schwarz-Weiß-Film zurück. Daher sind einige Fotos in Farbe, aber nicht viele. Das Konzept war, die Zeit in Japan in Farbfotos zu zeigen, den Rest in Schwarz-Weiß. 

Sie sind Dokumentarfilmerin, die sich hauptsächlich auf politische Themen konzentriert. Ist dies eher ein Film über Fotografie oder über politische Themen? 

Es ist eine sehr persönliche Geschichte, aber ich wollte auch die Umstände zeigen, aus denen Libuše stammt.

Für mich war es sehr wichtig, die politische Seite zu zeigen; aber das Wichtigste war, dass das eine sehr persönliche, intime Geschichte von Libušes Leben ist. Aber ja, die politische Situation spielt auch eine Rolle, denn wenn die russische Invasion nicht gewesen wäre, wäre ihr Leben vielleicht anders verlaufen.

Hatte Libuše ein Mitspracherecht, als Sie den Film machten? Oder haben Sie zuerst den Film gemacht und ihn ihr dann gezeigt? Wie war die Zusammenarbeit?

Libuše Jarcovjáková (c) Polyfilm

Libuše ist eine sehr offene Person. Als wir Freunde wurden, gab sie mir einen Schlüssel zu ihrer Wohnung und zu ihrem Archiv.

Ich hatte völlige Freiheit und konnte tun und lassen, was ich wollte. Also begann ich mit der Arbeit an diesem Film. Ein Jahr danach hatten mein Cutter und ich den ersten Rohschnitt. Damals hat Libuše den Film zum ersten Mal gesehen. Ich habe ihr viel über den Film und die Fotos erzählt, aber sie wollte auf den endgültigen Schnitt warten. Libuše mag es, wenn andere Menschen eine neue Komposition oder eine neue Präsentation ihrer Arbeit schaffen.

Dann sah sie sich den Film in einer Fassung an, in der ich die Texte einsprach und wir diskutierten mögliche Änderungen. Aber sie wollte nur kleine Änderungen, die ein paar Fotos und einige Teile des Voiceovers betrafen. Dann haben wir den von Libuše selbst eingesprochenen Kommentar aufgenommen.

Als sie den Film erstmals sah, war sie sehr überrascht über die vielen Selbstportraits. Ihr war nicht bewusst, wieviele Selbstportraits sie in ihrem Archiv hatte. Darüber hat sie sich sehr gefreut. Und sie war auch bestürzt, was für ein Leben das war.

Sie sagten, Sie arbeiteten zwei Jahre in der Post Production an dem Film? Wie viele Leute waren da beschäftigt? 

Nur einer. Das war mein Cutter Alexander Kashcheev, der zufällig auch mein Sounddesigner ist. Er ist verantwortlich für die Musik und die Geräusche.

Vor diesem Film hat Alexander nur an Animationen gearbeitet. Ich war so froh, jemanden wie ihn zu haben, der diese Art von Arbeit so mag. Er arbeitete die zwei Jahre am Schnitt, und ich an der Suche nach geeigneten den Notizen aus Libušes Tagebüchern, die ich dann zunächst mit meiner Stimme aufnahm.

Immer wieder haben wir alles zusammengesetzt und geschaut, wie es funktioniert. Und oft hat es nicht funktioniert. Also haben wir es noch einmal gemacht. Das war eine sehr langsame Arbeit. 

Es gibt Libušes Erzählstimme im Film, die natürlich Tschechisch spricht. Haben Sie je daran gedacht, den Film auf Englisch oder Deutsch zu synchronisieren, für jene, die nicht Tschechisch sprechen? Dann laufen die Untertitel nicht über die Bilder und der Zuschauer kann sich auf den Film konzentrieren und wird nicht von den Untertiteln abgelenkt? 

Ich weiß. Das ist ein Nachteil, dessen ich mir bewusst bin. Das war auch eine Überlegung bei unseren Koproduktionspartnern Ralph Wieser aus Wien (Anm.  Mitbegründer der Produktionsfirma Mischief Films) oder dem TV-Sender Arte. Letzterer wollte eine französische und eine deutsche Version mit einem Schauspieler als Erzähler. Wir stimmten zu, das umzusetzen. Aber als sich die Verantwortlichen den ganzen Film mit Libušes Stimme ansahen, waren sie überrascht, dass es für sie funktionierte, und sie wollten keine synchronisierte Version auf Französisch und Deutsch mehr. Die Stimme der Protagonistin war offenbar stärker und überzeugender. Also haben wir es so gelassen, wie es war. Aber ich weiß, dass es schwierig ist, alle Bilder unabgelenkt von den Untertiteln zu sehen. 

Wenn man zu sehr mit dem Lesen abgelenkt ist, muss man es sich eben zweimal ansehen…

Ja. Oft haben uns Leute mitgeteilt, dass sie den Film dreimal oder öfter gesehen haben. Das war auch für uns überraschend. 

Der Film ist einerseits in Kinos zu sehen, aber er wird auch auf Arte und im Fernsehen ausgestrahlt? 

Ja. Und er wird auch auf Netflix zu sehen sein, aber nur für das tschechische und slowakische Publikum. Der Kinoverleih wird vorerst sechs Länder abdecken. 

Kinostart: 21.3.2025

Titel: Noch bin ich nicht, wer ich sein möchte (Ještě nejsem, kým chci být); Tschechien, Slowakei, Österreich, 2024. 90 Minuten; Tschechisch, Englisch
Produktionsfirma: Somatic Films
Regie: Klára Tasovská
Drehbuch: Klára Tasovská, Alexander Kashcheev
Produktion: Lukás Kokes, Klára Tasovská
Musik: Prokop Korb, Oliver Torr, Adam Matej
Kamera/Fotos: Libuše Jarcovjáková
Schnitt: Alexander Kashcheev
Erzählerin: Libuše Jarcovjáková

Weitere Termine:

Buchpräsentation des Buches T-Club von Libuše Jarcovjáková in der Galerie Westlicht
Dienstag, 25.3. um 19 Uhr 

T-Club (c) Libuše Jarcovjáková 

Film & Gespräch mit Regisseurin Klára Tasovská und Protagonistin Libuše Jarcovjáková im Filmcasino, Wien
Mittwoch, 26.3. um 20:15 Uhr 

Film & Gespräch mit Regisseurin Klára Tasovská und Protagonistin Libuše Jarcovjáková im Das Kino, Salzburg
Donnerstag, 27.3. um 19:30 Uhr