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Anton Georg Martin Award: Das schönste deutschsprachige Fotobuch 

Die Gewinnerin Eugenia Maximova (mitte) mit Prof. Werner Sobotka (links) und Hans Petschar. (c) Markus Hofstätter

Die Gewinnerin Eugenia Maximova (mitte) mit Prof. Werner Sobotka (links) und Hans Petschar. (c) Markus Hofstätter

Die Verleihung und Überreichung des Preises wurde gemeinsam vom Direktor der Bild- und Grafiksammlung, Hans Petschar, und von Prof. Werner Sobotka, Präsident der Photographischen Gesellschaft durchgeführt. Letzterer wies auf die Bedeutung Anton Georg Martins, Begründer der Photographischen Gesellschaft, für die österreichische Fotografie und die Entwicklung eines zeitgemäßen Fotobuchs hin. Ein Fotobuch ist eine autonome Kunstform, vergleichbar mit einer Skulptur, einem Thea-terstück oder einem Film sagte Ralph Prins, der Erste, der dem Wort Fotobuch eine besondere Bedeutung gab. Er bezeichnete nämlich nicht irgendein mit Fotos illustriertes Buch, sondern eines, das seine wichtigste Botschaft mit Fotografien transportiert. Ein gutes Fotobuch, und das war die Intention der Jury, soll demanch drei wichtige Botschaften vermitteln. Erstens soll es großartige Arbeiten enthalten; zweitens sollen diese eine eigenständige Welt im Buch entstehen lassen und drittens soll das Design dem Inhalt des Buches entsprechen und der Inhalt von anhaltendem Interesse sein. 

1. Platz: Eugenia Maximova mit „Silent River“ (c) Cover: FOTOHOF edition

Der Anton Georg Martin Award 2023 für das beste deutschsprachige Fotobuch ging an den Verlag FOTOHOF Edition, vertreten durch Michael Mauracher, für das Buch Silent River der Fotografin Eugenia Maximova. Auszeichnungen für den zweiten Platz und dritten Platz ergingen an Elfi Semotan für All Personal sowie Christine de Grancy für Über der Welt und den Zeiten. Alle drei Preisträgerinnen waren zur Ehrung im Van Swieten Saal gekommen. 

2. Platz: Elfie Semotan mit „All Personal“ (c) Cover: FOTOHOF edition

Die hochrangige Jury bestand aus Monika Faber, Photoinstitut Bonartes; Christian Fuchs, Buchbinderei Fuchs; Jennifer Hikl, Österreichischer Bundesverlag; Felix Hofmann, Direktor Fotomuseum Arsenal; Axel Hubmann, Pressefotografie Syndikat; Gerald Piffl, Imagno Brandstätter Images; Uwe Schögl, Präsident ESHPh und Christian Skrein, Skrein Foto Collection. 

3. Platz: Christine de Grancy mit „Über der Welt und den Zeiten“ (c) Cover: Verein Die 2

Gregor Auenhammer beleuchtete in seiner Laudatio das Buch Silent River und die Fotografin Eugenia Maximova.

Gregor Auenhammer hält die Laudatio für Eugenia Maximova im Van-Swieten-Saals in der Österreichischen Nationalbibliothek. (c) Markus Hofstätter

Laudatio für Eugenia Maximova anlässlich der Preisverleihung des ersten „Anton-Georg-Martin-Preises“ durch die PHG 1861 von Gregor Auenhammer

„Nichts fürchtet der Mensch mehr als die Berührung durch Unbekanntes.“ Dieser Satz, sehr geehrte Damen und Herren, geschätzte Preisträgerinnen, dieser Satz von Elias Canetti ist durch Zeitlosigkeit geprägt. Dieser Satz in seinem Absolutismus – aus dem trefflich „Masse und Macht“ genannten Romanist Sinnbild einer Geisteshaltung – und zugleich auch dezidiert eine der wesentlichen Aufgabenstellungen von Fotografie und Journalismus. Das Unbekannte ist Thema medialer Berichterstattung. Die unvoreingenommene Konfrontation mit dem Unbekannten ist das Metier von Fotografie und Medienwelt, im Sinne einer unabhängigen Berichterstattung, im Sinne des Qualitätsjournalismus und seines „demokratischen Auftrags“.

Gerade dieser Tage, in denen die Konzentration an bigotter Impertinenz – durch Selbstbelobigungshymnen in Endlosschleife – das Fass der verbalen Inkontinenz im lautstarken Beschwören der „Kulturnation“, die wir seien, unablässig zum Überlaufen bringt, gerade jetzt wird einmal mehr augenscheinlich, welchen Stellenwert Kunst und Kultur hierzulande wirklich haben – im krassen Gegensatz zu den bigotten Lobeshymnen, die sich sonst gerne in der Sonne der Kultur aalende Politiker und Würdenträger in ihren Sonn- und Feiertagsreden von sich geben, bevor es ans Buffet geht. In den letzten Jahren, vor allem jenen der dekretierten Soziopathie, stellte sich pandemisch grassierend die Frage, was wichtig, was notwendig, was obsolet ist im Leben. Ein Gros der Reaktionen waren mehr Befindlichkeit denn ehrliche Betroffenheit. Pseudo-Emotion und Beruhigungs-Placebos. Realitätsverweigerung par excellence. 

Beschwichtigungskaiser, „Brot und Spiele“ postulierend, rasen im Konsumrausch ins Nirvana. Aber gemach, gemach. Alles bleibt besser! So mancher, sagt man, musste sich regelmäßig (zumindest gedanklich) übergeben, angesichts der unglaubwürdigen, verlogenen Bekundungen und Nominierungen von „unseren Helden des Alltags“? Spätestens aber bei den teils bizarren Dankeskundgebungen mit Kotau, professionelle Kabarettisten arbeitslos machend, wurde man allseits stutzig. 

Günther Oberhollenzer zum Beispiel stellt in seiner aktuellen Ausstellung im Wiener Künstlerhaus die Frage, inwiefern Kunst “Sytemrelevant” ist. Der degoutanten, erbärmlich-bigotten Verlogenheit zum Trotz – als Widerpart, als Stachel im Fleisch der Saturiertheit ist der Auftrag der Kunst, nebst nach dem Schönen zu streben, vor allem nach der Wahrheit zu suchen.  

Eine der möglichen kreativen Antworten auf die ewige Frage der Systemrelevanz der Kunst gibt uns aber scheinbar auch Eugenia Maximova mit ihrer Fotoserie “Silent River”.

Am 6. Oktober 2018 wurde die 30-jährige Fernsehjournalistin Victoria Marinova in der bulgarischen Stadt Ruse brutal vergewaltigt und ermordet. Ihr gewaltsamer Tod warf ein grelles Schlaglicht nicht nur auf die weit verbreitete Korruption, sondern auch auf die unsicheren Arbeitsbedingungen für Journalisten, die sich dieser Thematik widmeten. Die Debatte verstummte abrupt nach nur 48 Stunden, als der Täter verhaftet wurde. Die heute in Wien lebende Fotografin Eugenia Maximova wendet sich mit fotodokumentarischem Ansatz gegen dieses kollektive Schweigen, gegen das bequeme Schweigen und stellt im Buch einen größeren soziopolitischen Kontext her. Darüber hinaus befasst sie sich mit den emotionalen Auswirkungen, denn Maximova ist auch persönlich betroffen: Die ermordete Journalistin war ihre Schwägerin und Freundin gewesen.


Maximova stellt sich ausdrücklich gegen die sonst übliche Darstellung von Gewalt in den Mainstream-Medien. Stattdessen fängt sie elegische Ansichten der Stadt Ruse ein, leere Räume, von denen sich viele in einem desolaten Zustand befinden, aber dennoch nicht ohne Charme sind. Das spröde Projekt entwirft eine subjektive Topografie des Mordes, indem es nicht nur einem, sondern zwei Wegen folgt: dem von Victoria Marinova und dem ihres Mörders, wie sie sich beide durch die postkommunistische Stadtlandschaft bewegen, bis sich ihre Wege am Ufer der Donau kreuzen. Dabei taucht eine dritte Spur auf: die der Künstlerin selbst. 

Wie kommt es zu diesem fragilen Schweigen? Liegt es an der immer knapper werdenden Aufmerksamkeitsspanne, die in der Schnelllebigkeit, Oberflächlichkeit und der visuellen wie akustischen Reizüberflutung unserer Tage verortet ist. Liegt es an der allgegenwärtigen Gewalt, an der tagtäglichen Visualisierung – und Normalität von Gewalt – im Fernsehen, in Film und Video, im Internet, bei Streaming-Angeboten, bei Videospielen …? Auch die Ästhetisierung von Gewalt spielt sicher eine Rolle …

“To fake or not to fake – das ist hier die Frage”, könnte man, einen Totenkopf in der Rechten, in Anlehnung an William Skakespeares wohl berühmtestes Zitat über das “Sein”, das weise Haupt theatralisch schüttelnd, mit der Inbrunst der Gewissheit reinen Gewissens von sich geben. “To fake or not to fake – das ist hier (eigentlich) keine Frage”, muss man, dramatisch intonierend, realiter aber abwägend relativieren. In Zeiten wie Krisen ist nicht immer alles Gold, was glänzt, vice versa ist nicht alles, was glänzt, aus Gold.     

Es beginnt, wie oft üblich, im Kleinen. Ein Foto ist gelungen, stimmig, aber im Detail stört einen eine Kleinigkeit. Man hellt es auf, man bearbeitet es. Das nächste Mal stört einen ein im Vordergrund platziertes Verkehrsschild, ein Arm, ein Haarschopf. Ein Pickel? Man retouchiert das Makel weg. Was im Privaten absolut in Ordnung ist, in der Werbung und der Welt der Pixel gang und gäbe ist, bekommt in der Pressefotografie eine ganz andere Dimension. Denn vom harmlosen kosmetischen Retouchieren bis zur Fälschung ist es nicht weit. Im Journalismus hat man der Realität nichts hinzuzufügen oder wegzunehmen, nur weil es einem nicht in die Optik und ins Konzept passt; oder ins vorgefasste Bild. Was harmlos mit „Verschönerungen“ vom Kollegen Photoshop beginnt, mündet schnell in Unwahrheit und Propaganda. Da werden Köpfe zusammengerückt und farbige Hintergründe verlängert, dass es eine Freude ist. Der schöne Schein der Inszenierung siegt über den Inhalt, nicht nur bei Yellow Press und Donald T. –  von „alternativen Fakten“ und den üblichen Usancen der so called social media ganz zu Schweigen. 

In der Geschichtsforschung beweisen zahlreiche Fälle, dass im politischen Leben des Öfteren unliebsame gewordene Personen von Fotos entfernt, andere aber in historische Ereignisse hinzugefügt wurden. Man erinnere sich der Oktoberrevolution, an historische Szenen am Roten Platz, in Berlin, in Wien, Prag, Saigon, New York, Dallas, Washington, am Sinai und anderswo. Fahnen, Plakate und Menschen werden montiert, negiert, retouchiert – je nach Bedarf der subjektiven Wahrheit. Fake-News sind keine Erfindung der Gegenwart. Die Mittel der Qual aber sind heute perfider und einfacher geworden. Die digitale Globalisierung verändert nur die Sichtweise und vernebelt den Blick auf den großen Horizont leichter als in der Welt analoger Wunderkammern. 

Was ist Kunst? Was ist Realität? Worin besteht der demokratische Auftrag des Journalismus?  Sowohl der schreibenden als auch der fotografierenden Zunft? Wo beginnt Kunst, wo Künstlichkeit? Das Artifizielle in der Kunst geht wohl Hand in Hand mit dem Subversiven. 

Fließend aber ist die Grenze von der Verfälschung zur Fälschung.  Was mit kleinen Verbesserungen, mit Verschönerungen im Sinne ästhetischer Chirurgie – äh, pardon: Fotografie – beginnt, mündet rasch in Künstlichkeit, ins Artifizielle, de facto in Unwahrheit.  “Kunst hat mit Geschmack nichts zu tun.”, sagte Max Ernst. “Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar”, konstatierte Paul Klee. 

Als “Vermittlerin des Unaussprechlichen” bezeichnete Johann Wolfgang Goethe “die Kunst”. Man könnte noch einen Schritt weiter gehen – und Kunst als Vermittlerin des Unsichtbaren bezeichnen, speziell die Kunstsparte der Fotografie. Das Unsichtbare sichtbar zu machen, ist das Wesen der Kunst. Das Unsichtbare sichtbar zu machen ist aber auch Auftrag der Fotografie, der demokratische Auftrag des Fotografen, der Fotografin – nicht nur im Sinne der puren Dokumentation, der Visualisierung, sonderrn auch im Sinne der Emotionalität. 

Henri Cartier-Bresson, der unvergessliche Großmeister der klassischen Reportagefotografie beschrieb den Vorgang folgendermaßen: “Fotografieren bedeutet gleichzeitig und innerhalb von Sekundenbruchteilen zu erkennen – einen Sachverhalt selbst und die strenge Anordnung der visuellen wahrnehmbaren Formen, die ihm seine Bedeutung geben. Es bringt Verstand, Auge und Herz auf eine Linie.” Österreichs Doyen Erich Lessing sprach vom “Festhalten der Zeit”.

Kunst und Fotografie sind seit jeher ein eng vertrautes Paar, einer (manchmal ruhigen, fast langweiligen, manchmal einer wilden) Ehe gleich. Die Fotografie war seit ihrer Erfindung Teil der Kunstwelt, als Sparte der Bildenden Kunst aber lange im Schatten. Als “Dienstleister” wurde die Fotografie eine Zeit lang gering geschätzt, als dokumentierendes Element. Est nach und nach schätzte man die Einzigartigkeit des Augenblicks. Mit zunehmender Innovation aber kam es zu technischen Möglichkeiten, von der andere Medien nur träumen können. Zur kunstvollen Vermischung kam es immer öfter, immer intensiver, immer fragiler. Kunst ist Konstruktion und Dekonstruktion. Wobei man feststellen kann, oder festhalten muss, dass sogar die wilden, und oft als kunstlose Kunst apostrophierten Übermalungen ja eigentlich gar keine Erfindung des 20. Jahrhunderts waren. Skandal! Selbst die Alten Meister wie Michelangelo, Caravaggio oder da Vinci waren Opfer selbsternannter Sittenwächter und der übermalenden Inqisitionsfraktion. In der sixtinischen Kapelle gab es großflächige Übertünchungen allzu erotisch wirkender Körperteile, auf Grund konfessioneller Disonanzen von Visionären, Modernisierern, Würdenträgern und selbsternannten Sittenwächtern. 

Heute sitzt die Inquisition im Netz und proklamiert, was zumutbar ist und was nicht. Neo-Biedermeier, Intoleranz – statt Respekt und Wertschätzung – sowie wechselseitige Meinungsdikaturen sind die Folge, in der Dualität von teils überbordend verstandener Rücksicht auf Pluralität einerseits, sowie oktroyierter Selbstaufgabe der im Lauf der Jahrhunderte erworbenen Freiheiten im Sinne der “Aufklärung” andererseits. Fern von den erworbenen Prinzipien wie “liberté, egalité und fraternité”, fern der Menschenrechtscharta, der Freiheit der Meinung, der Religion, der Wissenschaft, der Freiheit der Kunst. Content, der weltweit grosso modo ungefragt und ungebeten von Kaulquappen aller möglichen und unmöglichen Kongregationen publik gemacht wird, erscheint hingegen unredigiert und unhinterfragt. Wobei wir wieder bei der subjektiven Wahrheit wären. “Sagen, was man denkt, ist manchmal die größe Torheit und manchmal die größte Kunst”, meinte Marie von Ebner-Eschenbach. 

In ihrer Ausstellung sowie im gleichnamigen Buch  „Silent River“ erforscht Eugenia Maximova die sozialen, politischen und persönlichen Dimensionen eines Gewaltverbrechens. Ausgangspunkt war, wie gesagt, der brutale Mord an Victoria Marinova, der sich am 6. Oktober 2018 in der bulgarischen Stadt Ruse zugetragen hat. Die Tat machte international Schlagzeilen und löste in ganz Europa Empörung aus. Die 30-jährige Marinova war nämlich Fernsehjournalistin, die es als eine der wenigen gewagt hatte, über die weitverbreitete Korruption des Landes zu berichten. So warf ihr Tod ein grelles Scheinwerferlicht auf Missstände. Übergeordnete Themata sind Korruption, Pressefreiheit und Gewalt gegen Frauen.

„Silent River“ ist eine künstlerische Auseinandersetzung mit dieser Tat und den gesellschaftlichen Umständen, die zu ihr geführt hatten. Es geht aber auch um persönlich-emotionale Aspekte und Folgen, denn Eugenia Maximova und die Ermordete waren sogar befreundet gewesen. So lässt sich „Silent River“ auch als Trauerarbeit, aber auch als Spurensuche verstehen. Lässt sich eine derartige Tat verstehen, verhindern, aufklären? Und nicht zuletzt: wie lässt es sich weiterleben, nach all dem was passiert ist?

Wie bereits in früheren Projekten, arbeitet Eugenia Maximova ausschließlich mit einer analogen Mittelformatkamera. Die Fotografien für Silent River entstanden während zahlreicher Besuche in Rusenach dem Mordfall. Ästhetisch stellen die Bilder bewusst einen Gegenpol zur Übersättigung an Gewaltdarstellungen in Nachrichten, Filmen, Videospielen und Serien dar. Die quadratischen Fotografien bestehen großteils aus kontemplativen und durchkomponierten Landschaftsaufnahmen, Stadtansichten, Detailstudien und Stillleben. Die schnelllebigen Medienbilder werden hier durch zeitlose, menschenleere Bilder ersetzt. 

So entstand eine visualisierte Topographie des Geschehenen. Zu sehen sind aber auch Orte, die ihr vermeintlicher Mörder besucht hat. Landstraßen, Gassen, desolate Fassaden, unbewohnte Gegenden, Bars, Geschäfte, Mietskasernen. Von den dramatischen Ereignissen ist nichts zu sehen, sie lassen sich nur erahnen. Die Sprengkraft der Bilder zündet gerade durch die Leere und scheinbare Belanglosigkeit, die sie vermitteln. Victoria Marinova bildet das unsichtbare Epizentrum und gerade in dieser gezielten Abwesenheit und Vagheit möchte Silent River die BetrachterInnen emotional stärker erreichen und dabei auch allgemeine Fragen zu unserem Umgang mit Gewaltverbrechen aber auch zur Darstellbarkeit in der Fotografie wecken.

Kürzlich publizierte die UNO eine schier unfassbare Zahl an Frauenmorden international. Im Jahr 2022 wurden weltweit insgesamt 89.000 Frauen und Mädchen getötet. Mehr als die Hälfte von Partnern und Familienmitgliedern. Österreich ist hier leider nicht ausgenommen. Allein in diesem Jahr (von Jänner bis Ende November 2023) kam es hierzulande zu 28 Morden an Frauen. Diese Femizide werden mittlerweile zur Kenntnis genommen, man erschrickt, man erstarrt – und doch muss man feststellen, dass diese Morde nur die Spitze des Eisberges tagtäglicher und allnächtlicher Gewalt gegen Frauen darstellt. Knapp jede dritte Frau in Österreich erlebt körperliche und/oder sexualisierte Gewalt. Wenn dies in einer aufgeklärten Gesellschaft wie der unseren passiert, wie erschreckend muss es in anderen Kulturkreisen sein, die zum Teil offen frauenfeindlich, respekt- und würdelos agieren.

Gewalt, Krieg, Terror, Ungerechtigkeit, Ausbeutung, sozialer Unfriede, gepaart mit epidemisch grassierender Kriegsbegeisterung, die Allmacht der internationalen Waffenlobbys und der Rüstungsindustrie lässt uns – im jungen 21. Jahrhundert – offenbar in den Abgrund blicken. Gewalt gegen Frauen, Intoleranz, Hass, Krieg, Missgunst, Neid, Klassenkampf sind allgegenwärtig.

Resignieren könnte man angesichts all dieser Tatsachen – was kann man schon erwarten, wenn sogar jemand wie der sonst so umsichtig und bedacht, besonnen, diplomatisch und doch klar formulierende Bundespräsident dieser Tage in seiner Rede an die Nation anlässlich des Staatsfeiertags Verständnis dafür zeigte, wenn man sich von den Nachrichten abwendet, statt prononciert und offen zu ermahnen, kritischen Qualitätsjournalismus zu konsumieren, ihn einzufordern und unabhängige, nach Wahrheit und Wahrhaftigkeit suchende Medien zu unterstützen – als Säule der Demokratie. Als Gegensatz zu selbstgerechten, selbstzufriedenen Bubbles, Meinung statt Information publizierenden und die Realität verdrehenden und verfälschenden Foren der sogenannten „sozialen“ Medien. Sich von „klassischen Medien“ abzuwenden und das Feld populistischen Demagogen zu überlassen, ist keine Lösung. 

Eugenia Maximovas Fotoserie „Silent River“ ist vor allem geprägt durch die Präsenz der Absenz, durch die Anwesenheit der Abwesenheit. Die Abwesenheit der Verstorbenen, die Abwesenheit der Lebenden, der Hinterbliebene, überhaupt die Abwesenheit von Menschen.

Die Archaik, die karge, lauthals im Nirvana eines Echoraums nachhallende Stille soll uns wohl einerseits die Anwesenheit des Schrecklichen, des Geschehenen, die Präsenz des Unwiderruflichen in Erinnerung rufen, andererseits aber soll die ständige Präsenz der Absenz, die Anwesenheit der Abwesenheit wohl auch die Abwesenheit jeglichen humanistischen Gedankenguts zeigen, die Abwesenheit von Empathie, von Menschlichkeit, die Abwesenheit des Guten. Wie schon des Öfteren moniert, in einer Zeit, in der scheinbar keinerlei diplomatische Anstrengungen für den Weltfrieden unternommen werden, geschweige denn das Wort „Frieden“ sich nicht einmal in den Gedanken der Menschen befindet, wohin soll das führen?

Vielleicht aber ist gerade diese schreiende Leere auch positiv interpretierbar; eventuell als Mahnmal für den die Aufklärung und die Menschheit per se notwendigen Humanismus, als Aufruf für ein humanitäres Gewissen. Als Versprechen an die Zukunft. Erlauben Sie mir eine These: wären mehr Frauen an der Macht, wäre die Welt eine bessere.

Bleibt nur an Stephane Hessel zu erinnern, der da meinte: „Empöret Euch!“ 

PS: Herzliche Gratulation an die drei Preisträgerinnen: an Eugenia Maximova, Elfie Semotan und Christine de Grancy.